Foto: PRIMATON Symbolbild
Zum zweiten Mal hat die Stadt Schweinfurt einen Zukunftspreis verliehen. Im Rahmen des „Zukunftsforums Schweinfurt“ am 7. Juni 2021 überreichte Oberbürgermeister Sebastian Remelé den mit 1.500 Euro dotierten Preis an zwei Nachwuchswissenschaftler aus Baden-Württemberg. Sie präsentierten ihre visionäre Idee, verschiedene Sensoren-Anwendungen in einem vernetzten Haus (smart home) nicht mit vielen einzelnen Apps steuern zu müssen, sondern ausschließlich per Messenger Nachrichten.
Nach der erfolgreichen Premiere im Vorjahr hatte die Stadt Schweinfurt erneut visionäre Ideen für ihren Zukunftspreis gesucht, diesmal mit dem Schwerpunkt „Robotik und Digitale Produktion“. Und das Interesse daran war groß: Mehr als doppelt so viele Studierende und Nachwuchswissenschaftler hatten ihre Bewerbungen eingereicht. Darunter waren nicht nur Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern auch aus dem Ausland. Nach einer Vorauswahl durch eine hochkarätig besetzte Expertenjury erhielten die fünf Finalisten-Teams ein kostenloses Training bei Profi-Pitch-Coach Dr. André Lampe.
Beim Zukunftsforum Schweinfurt am 7. Juni 2021, das aufgrund der Corona-Auflagen diesmal nur per Livestream aus dem Konferenzzentrum Maininsel übertragen werden konnte, durften die Finalisten ihre beeindruckenden Ideen vorstellen. Direkt aus Indien zugeschaltet war Sahana Narasimhamoorthy, die eigentlich an der FHWS in Schweinfurt studiert, und sich für den Zukunftspreis mit der Idee eines vollautomatisierten Restaurants beworben hatte. Vier duale Studenten der ZF Friedrichshafen AG präsentierten einen Serviceroboter zur intelligenten Müllvermeidung in der Schweinfurter Innenstadt, während Martin Maiß, ebenfalls von ZF, seinen umweltfreundlichen Roboter in der Landwirtschaft zur Bekämpfung von Schädlingen anstelle von Pestiziden einsetzen möchte. Ein weiteres Team hatte sich mit dem Thema erweiterte Realitäten (augmented reality/AR und extended reality/XR) auseinandergesetzt: Sie entwickeln eine service- und nutzerorientierte Plattform für industrielle und handwerkliche XR-Anwendungen mit kognitiven Assistenzsystem für kleine und mittelständische Unternehmen.
Zum Gewinner gekürt wurde die Vision von Patrick Fromm und Manuel Hüeber aus Heilbronn, die beide Mechatronik und Robotik an der dortigen Hochschule studiert haben. Ihre Idee ist so simpel wie beeindruckend: Einen Messenger, den fast jeder auf seinem Smartphone hat und im Alltag verwendet, mit „Internet of things“ (IOT) Anwendungen zu kombinieren. In ihrer Präsentation verknüpften sie ein kostengünstig erhältliches ESP 8266 Board mit dem Telegramm-Messenger. Damit können eine Vielzahl von Funktionen in einem vernetzten Haus, sogenannten smart homes gesteuert werden. Zwar existieren bereits Apps für solche Anwendungen. „Aber wir bündeln alles in einer einzigen Anwendung, die man ohnehin schon auf seinem Handy hat, wie zum Beispiel einen Messenger. Und man braucht damit keine 20 neuen Apps“, erklärten die beiden Gewinner des Schweinfurter Zukunftspreises 2021.
Mit Sensoren kann zum Beispiel die Bodenfeuchtigkeit einer Pflanze per Messenger-Nachricht kontrolliert werden. Auch Lichtfunktionen, Fernseher und sogar Toaster können damit gesteuert werden. Die Jungforscher sehen ihre Anwendung als praktische und günstige Ergänzung für das wachsende smart home-Segment. „Und es ist für jedermann, der sich dafür interessiert, machbar“, so Patrick Fromm und Manuel Hüeber.
Die Verleihung des Zukunftspreises 2021 war zugleich Abschluss und Höhepunkt des Zukunftsforums Schweinfurt, das am Nachmittag mit einer Reihe von hochkarätigen Fachvorträgen zum diesjährigen Schwerpunktthema Robotik und Digitale Produktion begonnen hatte. Eine Videogrußbotschaft hatte Anja Karliczek aus Berlin übermittelt. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung lobte das gemeinsam von Stadt und Landkreis Schweinfurt initiierte Format sowie die eingereichten Ideen und Internationalität beim Zukunftspreis. „Mit dem Zukunftsforum leisten Sie einen wertvollen Beitrag für den Innovations- und Forschungsstandort Deutschland“, sagte sie.
Sebastian Remelé, Oberbürgermeister der Stadt Schweinfurt, freute sich, dass das Zukunftsforum trotz der Corona-Krise stattfinde, wenngleich in veränderter Form. Seinen Worten zufolge werden „Robotik und digitale Produktion das Leben in weit größerem Umfang beeinflussen als wir uns das jetzt überhaupt vorstellen können.“ Gerade während der Pandemie habe man einen ersten Eindruck gewinnen können, was die Digitalisierung und Robotik mit der Gesellschaft anfangen werde. Ein Beispiel dafür sei die heutige Veranstaltung. „Wer hätte vor einem Jahr gedacht, dass das Zukunftsforum in dieser Form möglich gewesen wäre“, sagte der OB. Landrat Florian Töpper sieht Schweinfurt unterdessen als eine Region der Chancen und des Handelns, auch in punkto Robotik. Er sei überzeugt, dass man hier die nötigen Rahmenbedingungen schaffen werde, damit sich sowohl Unternehmen unterschiedlicher Größenordnungen als auch Start-ups, die an solchen Technologien arbeiten, positiv entwickeln können.
Dr. Linda Nierling vom KIT Karlsruher Institut für Technologie berichtete in ihrem Vortrag über die Technikfolgenabschätzung für eine digitale Arbeitswelt. Ihr Institut forscht interdisziplinär und berät unter anderem die Politik und den Bundestag. Erste Auswirkungen und damit einhergehende gesellschaftliche Herausforderungen gab es bereits in der ersten Phase der Industrialisierung im 19. Jahrhundert sowie später Ende des 20. Jahrhunderts durch die einsetzende Globalisierung und das Internet. Seit den 2010er Jahren hat der Prozess der Digitalisierung eingesetzt, der weit in die berufliche Arbeitswelt führt. Jüngste Studien zeigen, dass die Mehrheit der Berufstätigen nicht mehr mit einem Verlust des Arbeitsplatzes rechnet. Als Wachstumsbranche nannte sie unter anderem den Gesundheitssektor. Die größten Veränderungen wird es laut Dr. Nierling bei den Kompetenzanforderungen für Berufstätige geben. Die Pandemie habe für eine Technologiebeschleunigung gesorgt, allerdings nicht in allen Bereichen.
„Intelligente Roboter in der Fabrik – Hype oder bald Wirklichkeit?“ lautete der Titel des Fachvortrags von Prof. Dr. Tobias Kaupp. Er ist an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt (FHWS) Leiter des Center Robotics (CERI) und informierte darüber, wo bereits Roboter in Fabriken eingesetzt werden, etwa als fahrerlose Transportsysteme, sogenannte kollaborierende Roboter (Cobots), oder als Industrieroboter. Denkbar sei der Einsatz von Cobots, die mit den Menschen gemeinsam und ohne Schutzvorrichtung arbeiten, auch in der Serviceindustrie, wie zum Beispiel an Flughäfen oder in Super- und Baumärkten. Immer mehr Modelle und Anbieter kommen auf den Markt. Dennoch liegt deren Marktanteil erst bei rund fünf Prozent. Noch, so Prof. Kaupp, fehle es meist an der ganzheitlichen Integration in smart factory Konzepten.
An mechatronischen Lösungen für die Fabrik der Zukunft arbeitet bereits die Bosch Rexroth AG. Als Hersteller unter anderem für Lineartechnik, die von Schweinfurt aus verantwortet wird, hätte man gerne einen Linear-Robotor. „Es gibt das Produkt aber nicht, es muss immer einzeln zusammengebaut werden und ist daher sehr teuer“, berichtete Dr. Simon Hertenberger. Der Leiter Produktbereich Mechatronik will das ändern, was viele Vorteile hätte, deshalb wurde sein Arbeitsbereich bei Bosch Rexroth neu installiert. Mit dem „Smart Flex Effector“ hat man bereits eine solches entwickelt, nach vielen Vorgesprächen mit Kunden. Es sei eine völlig neue Kategorie, die voraussichtlich ab Ende des Jahres von Schweinfurt aus starten wird. Sozusagen der „next level of mechatronics“, wie Dr. Hertenberger es formulierte.
Das Fraunhofer Institut ist ein bekannter Name, wenn es um Digitalisierung und Forschung geht. Wie der aktuelle Stand hierzu im gewerblichen Bereich ist, darüber informierte Prof. Dr.-Ing. Frank Döpper in seinem Referat „Von Big Data zu Lean Data – Intelligente Datenwertschöpfung in der Produktion“. Döpper, am Fraunhofer IPA Leiter der Projektgruppe Prozessinnovation in Bayreuth, sieht zwar eine exponentiell steigende Datenmenge. Aber die Nutzung der Daten ist seiner Ansicht nach noch recht unterentwickelt. Dabei seien Daten „das Öl des 21. Jahrhunderts“. Doch dabei geht es nicht nur um Datenverwertung. Vor allem lautet die entscheidende Frage: Wie kann ich nützliches Wissen aus den gewonnenen Daten generieren? Der Fraunhofer-Experte sieht insbesondere die „intelligente Datenwertschöpfung“ als wichtiges Mittel zum Erfolg, also die Daten in richtiger Qualität verfügbar zu machen. Etwa für echtzeitnahe Entdeckung von Anomalien bei Maschinen in der Produktion. Daraus würden sich große Einsparpotentiale für Firmen ergeben, so Prof. Döpper.
Einen Einblick, wie die Industrie 4.0 in der Praxis aussieht, vermittelte Thomas Burkhardt von SKF dem Publikum. Der kaufmännische Geschäftsführer sieht den Konzern auf dem Weg zur Weltklasse-Fertigung. Hinter den Werkstoren von SKF hat die Automatisierung schon großen Raum eingenommen. Etwa in der Rollenlagerfertigung oder im Logistikbereich. Die Vermessung sowie die Transportsysteme oder auch die Anlieferung laufen vollautomatisch ab. Die Abläufe seien dadurch viel effizienter, lobt Burkhardt. Auch im weltweit leistungsstärksten Testzentrum für Großlager, die vor allem in der Windindustrie zum Einsatz kommen, läuft nichts ohne Digitalisierung. Und in der Großlagerfertigung sind unter anderem die größten Industrieroboter des Herstellers Kuka in die Arbeitsabläufe eingebunden. Er warb ausdrücklich für die Industrie 4.0. „Der Begriff hört sich zwar groß an, gilt aber auch im Kleinen und für kleinere Unternehmen.“
Einen besonderen Gast durfte Moderator André Kessler im Folgenden begrüßen. Per Videoliveschaltung nahm Ranga Yogeshwar am Zukunftsform Schweinfurt 2021 teil. Der aus dem Fernsehen bekannte Wissenschaftsjournalist nahm das Publikum mit auf eine Reise in die Zukunft – in „Emils Welt“. Was erwartet sein Enkelkind, wenn es einmal groß ist. Was muss er lernen, wie sieht seine (Arbeits-)Welt aus? Yogeshwar gewährte nicht nur einen Einblick in sein neues Studio zuhause, sondern ließ die Zuschauerinnen und Zuschauer auch Mitmachen. Per App konnten sie abstimmen, was sogleich ein aussagekräftiges Stimmungsbild bei vielen Fragen, die er stellte, aufzeigte. Etwa dazu, ob wir nur wenige Veränderungen nach der Pandemie erwarteten? Ob wir Versicherungen in Zukunft erlauben sollten, unser biologisches Alter statt jenes aus dem Pass zu verwenden, wenn die Daten dazu vorliegen (64 % Nein)? Oder ob man sein Todesjahr kennen möchte, woran US-Forscher gerade arbeiten (84 % Nein)? Auch hinsichtlich der zunehmenden Möglichkeiten von künstlicher Intelligenz warb er für eine Debatte. Zu klären sei, wo die Reise hingehen solle und wie der Wandel gelingt. Auch über eine Veränderung der Kultur müsste man nachdenken, so Ranga Yogeshwar. „Wir müssen uns auf Veränderungen einstellen, aber auch die Chancen sehen. Ich jedenfalls bleibe zuversichtlich.“
Wie wichtig die Nachwuchsförderung in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels ist, darum ging es in einer Diskussionsrunde mit Sorya Lippert, Zweite Bürgermeisterin der Stadt Schweinfurt, und Mario Lory, Vorsitzender des Vereins Wissenswerkstatt Schweinfurt und zugleich Technischer Leiter bei ZF in Schweinfurt. Er stellte das besondere Kursangebot für Schulen, Kinder und Jugendliche vor, das der Verein kostenlos anbietet, weil es von der Stadt und dem Landkreis und Partnerfirmen finanziell getragen wird. Die Wissenswerkstatt nannte er einen ganz wichtigen Baustein, beim Nachwuchs Begeisterung für Technik zu entfachen, was allerdings nicht immer einfach sei. Ausdrücklich warb er für das Sponsoringprogramm, an dem sich jederzeit Firmen beteiligen können. Sorya Lippert sieht die Stärkung der FHWS und Einführung der Twin-Studiengänge als großen Vorteil für den Standort Schweinfurt. „Wir müssen die Jugend einfangen“, sagte sie und ergänzte dazu noch: „Ich glaube, dass wir auch mit unseren Global Playern in Schweinfurt ein Pfund haben, mit dem wir wuchern können.“
Bevor der Pitch-Wettbewerb startete und der Schweinfurter Zukunftspreis 2021 verliehen wurde, war Showtime angesagt – und passend zum Schwerpunkt natürlich in digitaler Form. Andreas Axmann präsentierte mit seinem Tablet faszinierende Digital-Zaubertricks, die virtuelle und reale Welt immer wieder verschmelzen ließen.
Das Zukunftsforum Schweinfurt findet im kommenden Jahr eine Fortsetzung. Die dritte Auflage der Veranstaltungsreihe wird am 16. Mai 2022 stattfinden. Dann soll auch wieder der Schweinfurter Zukunftspreis für eine visionäre Idee verliehen werden. Weitere Informationen gibt es auf den Social Media Seiten des Zukunftsforums auf facebook, Instagram und LinkedIn.
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Quelle: Stadt Schweinfurt